Beziehungsanalyse
Das Konzept der Beziehungsanalyse wurde seit 1970 von Thea Bauriedl entwickelt. Es ist eine
Weiterentwicklung der psychoanalytischen Objektbeziehungstheorie unter dem besonderen
Gesichtspunkt der Beziehung zwischen Analytiker und Analysand, Psychotherapeut und Patient.
Langjährige Untersuchungen psychoanalytischer Prozesse und der in ihnen weitgehend unbewusst
ablaufenden szenischen Interaktionen sowohl in Einzelanalysen als auch in psychoanalytischen
Paar-, Familien- und Gruppentherapien machten es möglich und nötig, den Analytiker als Teil des
"therapeutischen Systems" zu verstehen, in seiner ganzen Person betroffen von und beteiligt an der
Aufrechterhaltung und an der Veränderung dieses Beziehungssystems.
Durch diese Betrachtungsweise erhalten die psychoanalytischen Konzepte der Übertragung
und Gegenübertragung eine neue, vertiefte Dimension:
Die Interaktionen zwischen Analytiker und Analysand werden in den verschiedenen
psychoanalytischen Settings nicht nur als "technische" Eingriffe (von Seiten des Therapeuten) oder
als Übertragungsäußerungen (von Seiten des Patienten) verstanden. Die "Essentials" der
Psychoanalyse (das Unbewusste, die Abwehr, der Widerstand, aber auch Erinnern, Wiederholen und
Durcharbeiten als Grundprinzipien des psychoanalytischen Prozesses) werden vielmehr einbezogen
in ein szenisches Verständnis des psychoanalytischen Prozesses, innerhalb dessen jedes
auftretende Gefühl, jede Beziehungsphantasie und jede Verhaltensweise aller beteiligten Personen
sowohl vor dem Hintergrund von deren persönlicher Geschichte (Übertragung) als auch vor dem
Hintergrund der aktuellen, aus dem Zusammentreffen mit dieser anderen Person oder diesen
anderen Personen (Gegenübertragung) entstandenen Beziehungssituation zu verstehen ist.
Zwischenmenschliche Probleme und die aus ihnen resultierenden Symptome werden als Ausdruck
gestörter Beziehungsstrukturen verstanden. Die Auflösung solcher Probleme und Symptome geht
deshalb mit der emanzipatorischen Veränderung dieser Beziehungsstrukturen einher.
Heilsame Veränderungen von gestörten intrapsychischen und zwischenmenschlichen
Beziehungsstrukturen (ungelöste Konflikte, die in manifeste oder latente "Kriegszustände"
übergegangen sind) sind nur in einem "geschützten Beziehungsraum" möglich. Einen solchen
Beziehungsraum herzustellen und aufrecht zu erhalten, ist deshalb die wichtigste Aufgabe des
Analytikers oder der Analytikerin. Nur in einem solchen Beziehungsraum kann das
zwischenmenschliche Vertrauen so weit zunehmen, dass sich die beteiligten Personen auf
veränderte Sicht- und Erlebnisweisen der eigenen Person und anderer Personen einlassen können.
Für den Analytiker oder die Analytikerin bedeutet das, dass er oder sie sich in ständiger
Selbstanalyse und einer damit verbundenen kontinuierlichen "inneren Arbeit" mit der Auflösung der
in der eigenen Person entstehenden Freund- und Feindbilder beschäftigt.
Über den psychotherapeutischen Rahmen hinaus ist die Beziehungsanalyse eine allgemeine Theorie
zum Verständnis des szenischen Ineinandergreifens der psychischen Strukturen von einzelnen
Personen und von Personengruppen in allen zwischenmenschlichen Beziehungen. Sie ist hilfreich für
das Verständnis von Veränderungsprozessen in allen Formen der Pädagogik, in
Supervisionsprozessen und in der Institutionsanalyse, in der Beratungsarbeit wie auch in
sozialtherapeutischen Tätigkeiten. Darüber hinaus ist dieses Konzept eine Grundlage der
kulturkritischen Analyse gesellschaftlicher und politischer Situationen und Ereignisse (Politische
Psychoanalyse).
Beziehungsanalyse
Informations in English may be found here:
Thea Bauriedl